Stell dir vor die Polizei entscheidet, welchen Ort du betreten darfst oder nicht, ob du einen Ort verlassen darfst oder nicht. Jeden Schritt den du gehen willst, jeden Urlaub den du machen willst, musst du dir von der Polizei genehmigen lassen. Du willst eine Freundin treffen um mal richtig zu quatschen, die Erfahrungen mit dem Druck von der Seele zu reden? Pech gehabt, darfst du nicht, denn die Polizei hat dir verboten, mit ihr Kontakt zu halten. Du überlegst, trotzdem zu telefonieren, aber erinnerst dich dann, dass jedes Telefonat von dir aufgezeichnet wird. Wie wäre es sich im Wald an einem geheimen Versteck zu treffen? Dann erinnerst du dich, dass ihr beide eine Fußfessel tragt, die Polizei sieht jeden Schritt und du verwirfst den Gedanken deprimiert und trottest weiter die eingefahrenen Wege. Vielleicht bis du dich entschließt, abzutauchen oder dich zu wehren, um dich endlich wieder lebendig zu fühlen – auch wenn dir bis zu zwei Jahre Knast drohen.
Klingt nach einer dystopischen Fantasie? Nach einer Diktatur? Nach dem totalen Überwachungsstaat? Vielleicht. Aber gar nicht so weit weg, denn das Szenario ist nicht einfach ausgedacht sondern genauso möglich mit den neuen Polizeigesetzen aus Bayern, NRW, Niedersachsen, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen und dem neuen BKA-Gesetz. Im folgenden werden die Regelungen aus NRW und Niedersachsen dargestellt, die anderen sind jedoch vergleichbar, unterscheiden sich aber geringfügig in den Bedingungen für die Anordnungen.
Die neuen Gesetze erlauben der Polizei bei Gericht zu beantragen, Aufenthaltsverbote, Aufenthaltsgebote und Kontaktverbote zu verhängen ohne dass eine Straftat nachgewiesen sein muss und du vor Gericht dafür verurteilt wurdest (§34b PolG NRW, §17b NdsPOG). Nein, es reicht die Gefahr, dass eine Person vorhaben könnte, eine Straftat (in NRW von erheblicher Bedeutung, in Niedersachsen terroristischer Art) zu begehen. Was Anhaltspunkte dafür sein könnten dass eine solche Gefahr vorliegt, ist nicht näher definiert – es bleibt also ein weiträumiger Auslegungsspielraum für die Polizei, die wie bisher auch ihre Möglichkeiten wohl eher ausschöpfen wird und dabei natürlich auch von der aktuellen politischen Lage beeinflusst wird. Vielleicht reicht also die Gefahr, dass du gegen einen G20-Gipfel protestieren willst, ein Eintrag in der Polizeidatenbank, dass du schon mal zur Rodungssaison im Hambacher Forst warst oder beim Fußball aufgefallen bist für ein entsprechendes Aufenthaltsverbot oder eine Anordnung, dass du zu Hause bleiben musst. Bei der Gefahr einfacher Straftaten sind in Niedersachsen Meldeauflagen vorgesehen (§16a NdsPOG).
In Niedersachsen entscheidet über ein solches Verbot die Behördenleitung der Polizei – ohne Richtervorbehalt. In NRW muss zwar ein Amtsgericht über die Aufenthaltsanordnungen und Kontaktverbote entscheiden, aber all die Rechte die Beschuldigte im Strafverfahren haben um sich zu verteidigen und vor allzu groben staatlichen Zuweisungen schützen zu können, gelten nicht. Es gibt kein Recht auf Verteidiger*innen oder Akteneinsicht, kein festgeschriebenes Recht darauf selbst Anträge zu stellen oder Zeug*innen anzugeben. Auch auf etwaige berufliche oder sonstige Verpflichtungen der Betroffenen muss keine Rücksicht genommen werden – so können die Reiseverbote auch Jobs und Existenzgrundlage gefährden.
Sind Aufenthaltsanordnungen und Kontaktverbote der Polizei nicht genug, darf sie auch vor Gericht erwirken, dass elektronische Aufenthaltsüberwachung (§34c PolG NRW, §17c NdsPOG), also eine Fußfessel angeordnet wird (wenn sie die Gefahr einer terroristischen Straftat oder in Niedersachsen auch einer schweren organisierten Gewalttat sieht), genauso wie die Überwachung der elektronischen Kommunikation (§20c PolG NRW, §33a NdsPOG). Mit der Überwachung sollen dann terroristische Taten verhindert werden, obwohl die Erfahrung aus Frankreich zeigt, dass das nicht funktioniert. Eine Fußfessel dient aber auch dazu, Verstöße gegen Aufenhtaltsanordnungen und Kontaktverbote festzustellen und zu verfolgen. Denn ein Verstoß gegen solche polizeilich-präventive Auflagen ist eine Straftat und kann mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden (§34d PolG NRW, §49a NdsPOG). So können dann schließlich alle bestraft werden, die sich so bewegen, wie es der Polizei nicht passt.
Die Verbote und Anordnungen gelten immer für maximal 3 Monate, können danach aber beliebig oft verlängert werden, für die elektronische Aufenthaltsüberwachung gibt es überhaupt keine zeitliche Begrenzung, also auch keine regelmäßige Überprüfung. Es kann also sein, dass diese extrem starke Einschränkungen der Freizügigkeit mit massiven Eingriffen in die Privatsphäre unbegrenzt fortgesetzt wird. Schöne neue Welt. Und viele Gründe mehr sich gegen die neuen Polizeigesetze zur Wehr zu setzen!
Zum Vergleich sei am Ende nochmal ausgeführt, wozu Aufenthaltsanordnungen, Kontaktverbote und elektronische Aufenthaltsüberwachung bisher eingesetzt wurden um die Änderungen zu verdeutlichen. Aufenthaltsverbote gab es bisher kurzfristig im Rahmen von Platzverweisen oder längerfristig im Rahmen von Gewaltschutzgesetzen, z.B. zum Schutz der Opfer von häuslicher Gewalt als Anordnung für die Täter*innen. Auch Kontaktverbote sind aus diesem Rahmen bekannt, vorrangig zum Opferschutz. Aufenthaltanordnungen haben eine unrühmliche Tradition als Residenzpflicht für Asylbewerber*innen, die zunächst auf die Landkreise beschränkt wurden, sich mittlerweile aber wieder (außer in Sachsen und Bayern) zumindest im Bundesland bewegen dürfen. Die Debatte um die Abschaffung war geprägt davon, dass die Maßnahme inhuman sei. Elektronische Fußfesseln mit entsprechenden Auflagen wurden lange Zeit als Ersatz für Haftstrafen gehandelt und erprobt, weil so eine Resozialisierung viel besser möglich ist als bei Eingesperrten. Also wurden sie gehandelt als Teil einer Strafe nach einer rechtskräftigen Verurteilung. Als nächstes wurde der Einsatz ausgeweitet auf Menschen, bei denen auch Sicherheitsverwahrung diskutiert wurde – um sie aus dem Gefängnis zu entlassen, als milderes Mittel gegenüber dem Einsperren, aber auch hier schon abdriftend in einer präventive Maßnahme.
Aktuell verschieben die neuen Polizeigesetze immer mehr in den Bereich der Prävention, also ordnen Maßnahmen schon weit im Vorfeld von realen Straftaten an. So wird der Strafcharakter einer Komplettüberwachung und Einschränkung der Bewegungsfreiheit ausgeweitet auf komplett unschuldige Menschen, bloß weil die Polizei einen Verdacht hat. Es ist wichtig, sich jetzt gegen diese Entwicklungen zu stellen. Die Polizei darf nicht die Macht bekommen über die Bewegungen und Kommunikation von uns allen.